08.11.2021Veranstaltungen

56. BME-Symposium DIGITAL eröffnet

BME-Bundesvorstandsvorsitzende Gundula Ullah in ihrer Eröffnungsrede: „Lieferketten-Probleme werden den Einkauf auch 2022 in Atem halten.“

Szenarien für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft nach Ende der Covid-19-Pandemie und Wege zur nachhaltigen Stärkung der unter Materialmangel leidenden Lieferketten waren am Montag zentrale Themen des Eröffnungsplenums „Navigating the Next Normal“ auf dem 56. BME-Symposium Einkauf und Logistik DIGITAL. Unter dem Motto „#newhorizons“ bietet die größte Netzwerkveranstaltung des BME den 900 Teilnehmer:innen bis Mittwoch (10.11.) eine virtuelle Plattform für die Diskussion gegenwärtiger und künftiger Beschaffungsstrategien. „Wir alle haben anstrengende und aufreibende Corona-Krisen-Monate hinter uns. Die Pandemie stellt für unsere Unternehmen nicht nur eine ökonomische Herausforderung dar, sondern sie verlangt den Menschen vor allem psychisch und physisch alles ab“, betonte Gundula Ullah, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), am Montag in ihrer Begrüßungsrede. „Die Unternehmen müssen sich angesichts der Vielzahl komplexer und herausfordernder Megatrends neu erfinden. Altbewährte Geschäftsabläufe sind plötzlich obsolet, überholt, taugen vielleicht nicht mehr, um die gesteckten Umsatz- und Gewinnziele auch in diesen 20er-Jahren realisieren zu können“, sagte Frau Ullah. Den Blick auf Next Normal zu richten, bedeute ihrer Ansicht nach auch, bereits heute die richtigen Weichen für die erfolgreiche geschäftliche Zukunft der eigenen Firma zu stellen. Spätestens hier seien die Einkaufs- und Lieferkettenprofis gefragt. Sie sollten Vorreiter der digitalen Revolution im Unternehmen sein und sich täglich bewusstmachen: Procurement und Supply Management bieten als ideale Schnittstellen zu den anderen Unternehmensbereichen jede Menge Schwung für Neues. Die BME-Bundesvorstandsvorsitzende äußerte sich auch zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf Einkauf, Logistik und Supply Management. So gebe es in der Wirtschaft viele Befürchtungen, dass die Covid-19-Pandemie trotz erster Erfolge bei der Bekämpfung des Virus noch längst nicht überwunden sein könnte. Nun stehe der Winter vor der Tür. Und mit ihm stiegen die Infektionszahlen. Ob diese Inzidenzen zu erneuten Verwerfungen in den Lieferketten und Beeinträchtigungen in den Produktionsprozessen führen könnten, bleibe noch offen – auszuschließen sei es aber nicht. Zur aktuellen Versorgungslage im 4. Quartal sagte Gundula Ullah, dass die deutsche Industrie – und das quer durch alle Branchen – unter dem gravierenden Mangel an Rohstoffen und Produktionsmaterialien sehr zu leiden habe. Angesichts des sich eintrübenden Geschäftsausblicks im Verarbeitenden Gewerbe ist zu befürchten, dass die Lieferengpässe bis weit ins nächste Jahr andauern könnten. Es gebe aber auch einen konjunkturellen Silberstreif am Horizont: So gehe die Herbstprojektion der Bundesregierung in diesem Jahr von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 2,6 Prozent aus. 2022 sei dann sogar ein Plus von 4,1 Prozent möglich. Hoffnung mache in diesem Zusammenhang auch die Äußerung des geschäftsführenden Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier. So zeige die Herbstprojektion, „dass Deutschland nach der Corona-Krise wieder auf dem Wachstumspfad ist“. Unter dem Titel „Ver-rückte Welt?“ beschrieb Prof. Henning Vöpel , Direktor des Centrums für Europäische Politik, „Szenarien einer Post-Pandemie-Weltwirtschaft“ im Plenum des diesjährigen Symposiums Einkauf und Logistik vor. Die internationale Gemeinschaft erlebe gegenwärtig eine Zeitenwende. Die Welt nach Corona werde seiner Ansicht nach durch mindestens vier große Phänomene gekennzeichnet sein. Das seien im Einzelnen De/Re-Globalisierung, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie. Die Covid-19-Pandemie habe unmittelbare und strukturelle Folgen für die Weltwirtschaft. So werde sich die konjunkturelle Erholung wegen der Lieferengpässe und fragilen Lieferketten verzögern. Als Stichworte nannte der frühere Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) die Rohstoff- und Energiekrise sowie den Mangel an Halbleitern und anderen Vorleistungen. Vöpel wagte abschließend noch einen Blick in die Zukunft. Danach würden Unsicherheit und Komplexität die nächsten Jahre bestimmen. Der einzige Weg, die Unsicherheit über die Zukunft zu reduzieren, bestehe darin, sie zu gestalten. Die Frage „Wie sehen die Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten aus und wie geht der Einkauf damit um?“ war nach dem Eröffnungsplenum zentrales Thema der „Fachkonferenz Beschaffungsmärkte“. Maren Liedtke , Rohstoffgeologin in der Deutschen Rohstoffagentur (DERA), betonte, dass die pandemiebedingten Lieferengpässe die Industrie vor große Herausforderungen stellen. Die Nachfrage nach Industrierohstoffen sei weiter hoch. Gleichzeitig herrsche Containerknappheit in Asien. Es gebe ferner Staus an den europäischen, chinesischen und US-amerikanischen Häfen. Die Lieferketten leiden zudem unter Personalengpässen. Maren Liedtke zufolge erschwerten die durch Corona verursachten globalen Frachtprobleme einen raschen Rohstoff- und Materialtransfer – so unter anderem von China nach Europa. Neben stark gestiegenen Frachtkosten hätten sich Fracht- und Wartezeiten für die Abfertigung verlängert. Liedtke verwies abschließend auf die Vielzahl neuer Technologien, die den Rohstoffbedarf der Unternehmen veränderten. So seien beispielsweise zahlreiche „Hightech-Rohstoffe, die für die Energie- und Mobilitätswende sowie für die Digitalisierung benötigt werden, Neben- und Sondermetalle mit heute kleinen Märkten“. Für die deutschen Industriefirmen bedeute dies, ihre Einkaufsstrategie gegebenenfalls zu überdenken und neu auszurichten. Hierzu zähle auch eine breitere Diversifizierung von Lieferquellen außerhalb Chinas. In der parallel stattfindenden Online-Fachkonferenz „Supply-Chain-Risikomanagement“ wurden unter anderem passende Instrumente zur Stabilisierung der unter Rohstoff- und Materialmangel leidenden Lieferketten vorgestellt: Dabei erläuterte Bernd Weimer , Einkaufsleiter bei der JUMO GmbH & Co. KG, Fulda, Strategien für den Elektronikeinkauf in Zeiten kollabierender Lieferketten. Er verwies darauf, dass „die Sicherstellung der Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit für unsere Kunden oberste Priorität“ habe. Trotz deutlicher Preisanstiege und extrem langer Lieferzeiten würden die von JUMO benötigten Rohstoffe, Bauteile, Halbzeuge und Rohmaterialien im Rahmen der Möglichkeiten weiterhin beschafft. Im Rahmen einer Task Force fänden seit März dieses Jahres wöchentliche Meetings zwischen Einkauf, Entwicklung, Produktion und Vertrieb statt, um die Lieferfähigkeit der Produkte sicherzustellen. Ziel sei es unter anderem, Verknappungen frühzeitig erkennen und darauf schnell reagieren zu können. Die Task Force bemühe sich auch, zukünftige Versorgungslücken aktiv aufzuspüren. In seinem Fazit betonte Weimer, dass der weitere Einfluss der COVID-19-Pandemie nicht vorhersehbar sei. Er stellte auch fest, dass „immer mehr elektronische Bauteile im Markt nicht mehr verfügbar seien“. Gleichzeitig steige die Gefahr von Produktionsstillständen. In der Fachkonferenz „Global Sourcing“ stellte Christian Ott , Leiter Beschaffung und Logistik der August Mink GmbH & Co. KG, flexible Beschaffungsstrategien für unsichere Zeiten und volatile Märkte vor. Unterschiedliche Lieferketten böten zwar ein großes Potenzial, hätten aber auch beträchtliche Risiken. Das zeige sich bei einem Vergleich verschiedener Beschaffungsmodelle. Werde beispielsweise von einem Unternehmen Produktionsmaterial in Deutschland eingekauft, seien die Kommunikation einfach, die Flexibilität bei Anpassungen hoch und die Transportwege kurz. Negativ schlage zu Buche schlügen die beträchtlichen Stückkosten. Häufig bestehe auch die Gefahr des „OverEngineneering“. Anders verhalte es sich, wenn das Produktionsmaterial in Asien beschafft wird. Hier erfolge die Fertigung in der Regel in großen Mengen. Von Vorteil seien bei diesem Sourcingmodell die geringen Stückkosten. Dafür sei der administrative Aufwand immens, die Transportkosten schwankten, die Flexibilität sei gering und die Lagerkosten hoch. Nachteilig wirke sich zudem die Sprachbarriere aus. Ott brachte in seinem Vortrag auch ein hybrides Beschaffungsmodell ins Spiel: Die Fertigung könnte in Asien erfolgen. Lagerung und Anlieferung übernähmen dagegen Partner im Inland oder in der EU. Positiv sei dabei, dass die finanziellen Risiken geringer ausfielen. Eine Sprachbarriere gebe es ebenfalls nicht. Negativ seien vor allem die höheren Stückkosten. Ott: „Wir müssen global denken, gleichzeitig aber lokal handeln.“ „Die Weltwirtschaft befindet sich auf dem Weg aus dem Corona-Tal“, sagte Katharina Utermöhl , Europa-Volkswirtin der Allianz SE, in ihrem Statement. 2021 sei mit einem globalen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Höhe von 5,5 Prozent zu rechnen. Für das nächste Jahr erwarte sie ein BIP-Plus von 4,2 Prozent, fügte Frau Utermöhl hinzu. Zum Vergleich: Das US-amerikanische BIP dürfte den Prognosen von Allianz Research 2021 und 2022 um 6,1 beziehungsweise 4,1 Prozent wachsen. China komme danach auf +7,9 Prozent und 5,2 Prozent. Für Deutschland sei mit einem BIP-Anstieg von 3,0 Prozent und 4,0 Prozent zu rechnen. Während der Konsument den Konjunkturmotor weiter am Laufen halte, bleibe die Industrie das Sorgenkind. Kurzfristige Besserung sei nicht in Sicht. Vielmehr dürften die globalen Lieferketten nach Utermöhls Einschätzung bis 2023 unter Stress bleiben. _ Autor: Frank Rösch , BME-Konjunktur- und Rohstoffmonitoring_