24.08.2021Compliance/Nachhaltigkeit

„Die Wirtschaft wird anders aussehen“

Caspar Dohmen ist internationalen Lieferketten auf der Spur. Seine Recherchereisen führten ihn schon nach Bangladesch, Kolumbien, Côte d’Ivoire, Guatemala, Nicaragua, Pakistan, Indien oder Burkina Faso. Über seine Erkenntnisse hat er kürzlich ein Buch geschrieben – und darüber mit BIP gesprochen.

Herr Dohmen, was hat Sie bewegt, ein Buch über Lieferketten zu schreiben? Mein Interesse am Thema speist sich aus zwei Motivationssträngen: zum einen aus meiner langjährigen Tätigkeit als Wirtschaftsjournalist. Ich habe mich irgendwann selbstständig gemacht, um jene Themen zu bearbeiten, die mir wichtig sind, und mir die Zeit dafür zu nehmen, mir Dinge vor Ort ansehen zu können. Zum anderen war ich schon als Jugendlicher Mitglied bei Amnesty International, Menschenrechtsthemen waren mir daher seit jeher wichtig. Und so kamen für dieses Buch das journalistische Interesse und die Überzeugung, dass Menschenrechte auch im Wirtschaftsleben durchgesetzt werden sollten, zusammen. Gab es einen konkreten Auslöser für Ihre Arbeit? Initialzündung waren die Fabrikunglücke in Asien: das Rana Plaza in Indien, aber eigentlich noch mehr Ali Enterprises in Pakistan. Ich habe über mehrere Jahre den Versuch von Betroffenen des Fabrikbrandes in Pakistan verfolgt, vor einem deutschen Gericht auf Schadenersatz zu klagen. Zwar ist das Verfahren wegen Verjährung nicht entschieden worden, aber es war der Paradefall um sich die Frage zu stellen, ob deutsche Unternehmen nicht auch eine rechtliche Verantwortung für Zulieferer haben. Worin liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit? Ich habe mich zwar immer mit den Missständen beschäftigt, habe aber auch jene Dinge journalistisch dargestellt, wo Unternehmen versucht haben, etwas besser zu machen – wie etwa den Versuch, eine faire textile Lieferkette in Indien aufzubauen. Die Textilindustrie in Indien, Bangladesch und Pakistan war sicherlich ein Schwerpunkt. Ich habe mir aber auch landwirtschaftliche Lieferketten angesehen, etwa Kakao in der Elfenbeinküste oder Kaffee in Kenia und Kolumbien. Haben diese Erfahrungen Ihr Bild von Wirtschaften im Allgemeinen und von Lieferketten im Speziellen verändert? Ich habe über meine Arbeit sehr viele Einblicke in Wirtschaft und Unternehmen bekommen. Die haben meine Vorstellungen, was die Ausbeutung von Umwelt und Menschen betrifft, teilweise bestätigt. Gleichzeitig habe ich aber etwa Textilunternehmer in Asien kennengelernt, die selber sagten, dass sie ihren Mitarbeitern zu wenig bezahlen und sich einen höheren gesetzlichen Mindestlohn wünschen, aber einfach unter einem brutalen Wettbewerbsdruck stehen. Es war wie bei jedem Thema: Je tiefer ich eindrang, desto komplexer wurde mein Bild von den Zuständen Ihr Buch trägt den nüchternen Titel „Lieferketten“. Was assoziieren Sie ganz persönlich mit diesem Begriff? Eine Verknüpfung von verschiedenen Menschen, die wirtschaftlich tätig sind. Wobei der Begriff „Kette“ ja zu kurz gegriffen ist, man müsste eigentlich über Netze sprechen. Da sind über die Jahre ziemlich komplexe Strukturen entstanden. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich Lieferketten immer weiter um die Erde spannten, immer globaler und länger wurden und dadurch immer mehr Menschen an der Herstellung von Produkten beteiligt wurden. Gleichzeitig stehen Lieferketten für eine ganz bestimmte Art des Wirtschaftens und die Beziehung dieser Menschen untereinander.