30.09.2025Politik & Wirtschaft

Eine neue sicherheitspolitische Agenda und ihre Auswirkungen auf Beschaffung und Supply Chains

Die geopolitische Lage, technologische Disruptionen und hybride Bedrohungen verändern die Grundlagen von Sicherheit und Resilienz in Wirtschaft und Gesellschaft. Am 25. September 2025 fand in Berlin der Secure Tomorrow Summit, ausgerichtet vom Tagesspiegel, statt. Führende Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft diskutierten eine neue sicherheitspolitische Agenda. Im Zentrum stand die Frage: Wie lassen sich Frieden, Stabilität und Handlungsfähigkeit in einer Welt sichern, die zunehmend von Unsicherheit geprägt ist?
© Tagesspiegel Secure Tomorrow Summit ©Laurin Schmid

Sicherheit umfasst heute deutlich mehr, als militärische Verteidigung. Hybride Kriegsführung, Cyberangriffe, Desinformation und die Verwundbarkeit kritischer Infrastrukturen erfordern einen erweiterten Sicherheitsbegriff, der Innenpolitik, Cybersecurity, wirtschaftliche Souveränität und Verteidigung integriert. 

Bastian Ernst, Mitglied des Verteidigungsausschusses, formulierte es prägnant: „Wir sind nicht in einem klassischen Krieg, aber eben auch nicht mehr im klassischen Frieden. Wir sind in einer hybriden Bedrohungssituation.“ Diese hybride Lage zwingt Staaten und Unternehmen gleichermaßen, ihre Sicherheitsarchitekturen neu zu denken. Neben finanziellen Mitteln sind gesellschaftliche Akzeptanz, Qualifizierung und Innovationsfähigkeit entscheidend. Und dabei ist die Wahrnehmung als attraktiver Arbeitgeber nicht nur für die Wirtschaft ausschlaggebend, sondern auch für die Bundeswehr.  

 

Ökonomische Dynamik: Verteidigung als Wachstumsmarkt 

Die sicherheitspolitische Neuausrichtung Deutschlands und Europas hat massive wirtschaftliche Implikationen. So hat sich zum Beispiel der Aktienkurs der Firma Rheinmetall in diesem Jahr mehr als verdreifacht – ein Indikator für die Dynamik im Defence-Sektor. Gleichzeitig drängen neue Player und Seiteneinsteiger aus anderen Branchen in den Markt. 

Das Bundeswehrbeschleunigungsgesetz schafft regulatorische Spielräume, um Beschaffungsprozesse zu verkürzen und Marktbeteiligung zu erleichtern. Ein erneuter Diskurs zum Vergaberecht tritt daher hinter die Notwendigkeit koordinierter Projektteams und deutlich verkürzter interner Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse zur Beschaffung der relevanten Produkte und Dienstleistungen zurück. Auch eine klare Multi-Sourcing-Strategie für alle kritischen Güter, um Ausfallgefahren zu reduzieren kleinere Produktionskapazitäten nutzbar zu machen, ist in der heutigen geopolitischen Gemengelage unumgänglich.  

Dennoch bleibt die zentrale Herausforderung: Wie gelingt der Markthochlauf, ohne Qualität, Compliance und Versorgungssicherheit zu gefährden?  

 

BME im Fokus: Innovative Beschaffung als Schlüssel 

Matthias Berg, Leiter des Kompetenzzentrums Innovative Beschaffung (KOINNO) und Leiter Innovation beim BME, war zusammen mit Ralf Ketzel, CEO, KNDS Deutschland und Christoph Schmid MdB, Mitglied im Ausschuss für Verteidigung, als Diskutant vor Ort. In der Paneldiskussion „Projekt 2029 – Wie bewältigen wir den Markthochlauf?“ wurden drei Kernfragen adressiert:  

  • Wie lassen sich Beschaffungsprozesse beschleunigen, ohne Vergaberecht neu zu verhandeln?  

  • Welche Rolle spielt Multi-Sourcing für Resilienz?  

  • Wie können innovative Anbieter identifiziert und integriert werden?  

Berg betonte: Ohne schnelle Vorqualifizierung und Einbindung neuer Lieferanten wird der Hochlauf in den bestehenden Strukturen nicht leistbar sein.“ Zentrale Herausforderung beim Markthochlauf Defence - sowohl in der Privatwirtschaft als auch bei der Öffentlicher Hand - sei die Identifikation innovativer Produkte und Vorkomponenten, sagte Berg. Hierfür brauche es mehr Markterkundung zur Identifikation vergleichbarer Fertigungskompetenzen oder zur Identifikation neuer Anbieter (Start-ups und KMU). Für die Öffentliche Hand eigne sich der KOINNOvationsplatz als bereits etablierte Markterkundungsplattform.  

 

BME startet Defence Matchmaking Plattform  

Für die bestehenden Systemlieferanten und Systemhäuser aus dem Bereich Defence und Security steht ab Ende Oktober 2025 die Defence Matchmaking Plattform des BME, in Zusammenarbeit mit BDSV und dem BAIINBW, zur Verfügung. Sie ermöglicht interessierten Unternehmen aus anderen Sektoren einen schnellen Überblick in die spezifischen Anforderungen der Bundeswehr und des Sektors in Summe.  

Die Defence Matchmaking Plattform soll dazu beitragen, Struktur in den potenziellen Rüstungszuliefermarkt zu bringen. Dafür bedarf es einerseits einer aktuellen Marktübersicht über bestehende Bedarfe, Produkte, Kapazitäten und Lieferanten. Andererseits bedarf es eines Überblicks über mögliche Teilnahmevoraussetzungen für den neuen Anbietermarkt, also welche Zertifikate und Qualifizierungen vorgelegt und welche spezialgesetzlichen Vorgaben beachtet werden müssen, z.B. bei Export- und Ausfuhrkontrolle, beim Thema relevante Gesetze und Richtlinien im Bereich Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (AußenwirtschaftsG, KrWaffKontrG, WaffG, ITAR, EAR) und bzgl. spezifische Defence Qualifikationen, u.a. IPC class 3 oder VG 96927.  

Die sicherheitspolitische Agenda betrifft nicht nur Rüstungsunternehmen. Auch Branchen wie Maschinenbau, Automotive, Chemie und IT sind Teil der Lieferkette und müssen den Anforderungen der Bundeswehrbeschaffung (BAAINBw) und der Systemhäuser gerecht werden – sei es durch Cybersecurity-Anforderungen, Exportkontrollen oder die Sicherung kritischer Rohstoffe. 

 
Folgende zentrale Handlungsfelder wurden identifiziert:  

  • Markterkundung und Innovationsscouting: Plattformen wie der KOINNOvationsplatz bieten Zugang zu neuen Technologien und Anbietern  

  • Multi-Sourcing und Lieferanten-Diversifizierung: Reduktion von Single-Source-Abhängigkeiten ist essenziell für Resilienz 

  • Compliance und Regulierung: Unternehmen müssen sich mit komplexen Vorgaben wie Außenwirtschaftsgesetz, Kriegswaffenkontrollgesetz, ITAR und EAR vertraut machen 

  • Qualifikationsstandards: Defence-spezifische Normen (z. B. IPC Class 3, VG 96927) sind für Zulieferer unverzichtbar  

  • Kooperation und Netzwerke: Neue Plattformen wie das BME-Matchmaking-Tool erleichtern den Zugang zu Defence-Sektoren und beschleunigen Onboarding-Prozesse  

Fazit der Veranstaltung: Der Bereich „Sicherheit und Verteidigung” ist längst eine Querschnittsaufgabe, die Wirtschaft und Staat gleichermaßen beschäftigt. Für Beschaffung und Supply Chain bedeutet das: Resilienz entsteht durch Geschwindigkeit, Innovationsfähigkeit und Kooperation. Der BME begleitet diesen Transformationsprozess mit Know-how, Plattformen und Netzwerken. 

Mehr zum Thema: 

Wie die Beschaffungsprozesse im Sicherheits- und Verteidigungssektor beschleunigt werden können, diskutieren Experten im BME Live-WebinarDefence meets Procurement” am 16. Oktober 2025, 11:00-13:00 Uhr.  

Anmeldung: Defence meets Procurement | Strategische Beschaffung im Sicherheits- und Verteidigungssektor - BME 

Matthias Berg
Leiter Sektion Fachgruppen/KOINNO