08.03.2023Frauen im Einkauf

„Frauen in Führungspositionen sind kein Nice-to-have, sondern eine absolute Notwendigkeit“

Der BME hat anlässlich des Weltfrauentags am 8. März 2023 mit seiner Hauptgeschäftsführerin Dr. Helena Melnikov ein Interview über den Relaunch der BME-Förderinitiative „Frauen im Einkauf“ sowie über das Thema „Frauen in Führungspositionen“ geführt.
© Natalie Hua/unsplash

Frau Dr. Melnikov, wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung beim Thema „Geschlechtervielfalt in Führungsgremien“ mit Blick auf den Einkauf?

Dr. Helena Melnikov: Ich freue mich, dass es gerade im Bereich Beschaffung in letzter Zeit nennenswerte Lichtblicke gibt. Beispielhaft sind hier Barbara Frenkel als Mitglied des Vorstands bei der Porsche AG oder die Neuberufung von Dr.-Ing. Renate Vachenauer als neue Beschaffungsvorständin bei der Audi AG. Das ist vor allem im männerdominierten Automotivbereich eine positive Entwicklung. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen, es gibt nach wie vor viel Handlungsbedarf.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen, dass Frauen in Top-Führungspositionen immer noch seltener anzutreffen sind als ihre männlichen Kollegen?

Die Ursachen sind vielfältig und im beruflichen wie privaten Bereich zu suchen. Ich glaube, dass es nach wie vor viele unterbewusste Vorurteile bei Einstellungen und Beförderungen in Bezug auf das Geschlecht gibt – Stichwort: Gender Bias. Das Klischee, dass Männern den Beruf priorisieren und bei Frauen früher oder später die Familie wichtiger wird, ist nach wie vor weit verbreitet. Während tendenziell bei einem Mann immer noch gedacht wird „Der hat Potenzial“, urteilt man bei einer Frau schnell „Sie braucht noch mehr Erfahrung“. Wir sollten Frauen im Beruf mit dem gleichen Potenzial wahrnehmen, wie wir es auch bei Männern tun und die Pipeline für höhere Positionen so lange mit Frauen auffüllen, bis die Parität auch in der Führungsebene erreicht ist.

Im Privaten sehen wir, dass Frauen nach wie vor mehr Elternzeit nehmen und mit 5,2 Stunden Sorgearbeit im Vergleich zu Männern mit 3,2 Stunden Tag für Tag signifikant mehr leisten. Dies zeigt sich in kleinen Details. Wer denkt an die Arzttermine der Familie und wer wird angerufen, wenn das Kind aus der KITA abgeholt werden muss? Wenn sich dies nicht ausbalanciert, bleibt es für die Frauen doppelt schwer. Dieser gesellschaftlichen Herausforderung müssen wir uns stellen. Dazu brauchen wir auch die Männer, damit sie mehr als die zwei Vätermonate Elternzeit nehmen. Das fördert nicht nur die Entwicklung der Kinder und senkt die Scheidungsrate, es sorgt auch dafür, dass Frauen früher in den Job zurückkehren, ihre Kariere verfolgen und in gut bezahlte Positionen kommen.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Stellschrauben, um die Situation zu verbessern?

Zunächst müssen wir uns bewusst werden, dass Frauen in Führungsposition kein Nice-to-have, sondern eine absolute Notwendigkeit sind, wenn ein Unternehmen auch in Zukunft im Wettbewerb bestehen will. Laut McKinsey haben Unternehmen mit der größten Geschlechter-Diversität eine um 48 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit einer finanziellen Outperformance als Unternehmen mit der niedrigsten Diversität. Das müsste allen die Augen öffnen und es sollte demnach selbstverständlich sein, dass Männer und Frauen gleichberechtigt eingestellt, entlohnt und für die Führungsebene berücksichtigt werden. Ebenso sollte es genügend Angebote geben, damit sowohl Frauen wie Männer mit Familie in einer Führungsposition arbeiten können.
Insbesondere Frauen können sich für diese Positionen gegenseitig empfehlen, gezielt an ihrer Sichtbarkeit arbeiten und an entsprechenden Förderprogrammen teilnehmen. Dies ist auch der Beweggrund für den Relaunch der Fraueninitiative bei uns im Verband.

Zunächst müssen wir uns bewusst werden, dass Frauen in Führungsposition kein Nice-to-have, sondern eine absolute Notwendigkeit sind, wenn ein Unternehmen auch in Zukunft im Wettbewerb bestehen will.

Dr. Helena MelnikovBME-Hauptgeschäftsführerin

Viele Jahrzehnte waren Männer dominant in der Wirtschaft. Die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung fordert nun immer mehr gesetzliche Quoten. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Dass die Quote wirkt, hat man bei der Anzahl der Frauen in den Aufsichtsräten gesehen. Mit der vorher geltenden freiwilligen Selbstverpflichtung ist das nicht erreicht worden. Hinzu kommt der sog. „Sättigungseffekt“, der zeigt, dass sobald ein oder zwei Frauen im Vorstand vertreten sind und die Quote gerade so erfüllt ist, es dabei bleibt. Echter Veränderungswillen sieht anders aus. Solange nicht mehr als die Mindestanzahl an Frauen in Top-Gremien keine Selbstverständlichkeit sind, halte ich die Quote für eine temporär notwendige Brücke.

Was würden Sie anderen weiblichen Führungskräften empfehlen? Worauf sollten Frauen in ihrer Karriereplanung achten, um sich auf eine Spitzenposition vorzubereiten?

Augen auf bei der Partnerwahl, werdet sichtbar und verbündet Euch. Die Wahl des Partners oder Partnerin entscheidet ganz wesentlich darüber, wie sich gerade für Frauen der Beruf und das Private in Einklang bringen lassen. Die gerechte Aufteilung der Elternzeit, die Übernahme der Sorgearbeit zu Hause und vieles mehr sind wichtige Faktoren, wenn die Karriere langfristig gelingen soll.
Das kann dann auch ein Vorbild für andere sein, die ebenfalls ihren Weg suchen und ihre Erfahrungen teilen wollen. Hierfür sind Verbindungen und gegenseitige Unterstützung eine große Hilfe.
Es geht nicht darum in Konkurrenzsituationen zu denken, sondern um Kollaboration. Hier können wir uns von Männern noch einiges abgucken.

Förderprogramme und Netzwerke sind bei der Karriereplanung ein zentraler Bestandteil. Was bietet der BME Frauen im Einkauf konkret an Möglichkeiten, sich auszutauschen und sich gezielt zu vernetzen?

Unsere Fraueninitiative bietet ein konkretes Netzwerk mit vielen Austauschformaten und Veranstaltungen. Oft stoßen Frauen auf die so genannte „gläserne Decke“, eine unsichtbare Erfolgsbarriere, welche ihren Aufstieg abbremst. Genau hier wollen wir ansetzen. Zentrale Idee ist es, Frauen ein fachspezifisches und branchenübergreifendes Forum zu bieten, ihnen Sichtbarkeit und Gehör zu geben und umgekehrt den Verband mit neuen Ideen zu inspirieren. Wir erhoffen uns davon, möglichst vielen Frauen den Weg nach oben zu ebnen und sie unterstützend zu begleiten. Zusätzlich bieten wir durch unsere Events die Möglichkeit zur Sichtbarkeit. Wir freuen uns immer über Vorschläge für weibliche Speakerinnen. Zurzeit führen wir eine Umfrage durch, um die unterschiedlichen Bedürfnisse unserer weiblichen Mitglieder noch besser zu verstehen und ihnen ein maßgeschneidertes Angebot zu machen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Die BME-Umfrage „Frauen im Einkauf“ läuft bis zum 15. März 2023. Alle weiblichen BME-Mitglieder und Führungskräfte sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen. Zur Umfrage gelangen Sie hier.

Save the Date: Die nächste BME-Veranstaltung für Frauen im Einkauf findet online am 23. März statt. Im Fokus steht die Fragestellung „Ob Online-Meeting, Video-Call oder große Video-Konferenz – was sind die Schlüssel zur optimalen Präsentation der Persönlichkeit in digitalen Welten?“ Zur Anmeldung hier.

Zur Person

Dr. Helena Melnikov trat am 6. September 2021 ihr Amt als Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) an. Vorher war die im Wirtschaftsstrafrecht promovierte Rechtsanwältin Hauptgeschäftsführerin des Waren-Vereins der Hamburger Börse e.V. und Geschäftsführerin der dort angeschlossenen Fachverbände. Frau Dr. Melnikov spricht Deutsch, Englisch und Russisch, lebt in Kronberg im Taunus und ist Mutter von zwei Kindern.

Ihre Kontaktperson

Alina TillmannSenior Referentin Initiativen und Partnerschaften, BME e.V.+49 6196 5828-163alina.tillmann@bme.de