01.03.2022Personal & Karriere

„Bevorzugen Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene“

Barbara Frenkel ist seit einem guten halben Jahr Beschaffungsvorständin bei Porsche in Stuttgart. Im großen Interview für BIP - Best In Procurement spricht sie über ihren Wechsel in den Einkauf, den Chipmangel, Nachhaltigkeitsziele des Sportwagenbauers und ihre eigenen Karrierepläne.

+++Redaktioneller Hinweis: Das Interview fand Ende Januar statt.+++ Frau Frenkel, seit einem guten halben Jahr sind Sie Vorstandsmitglied für Beschaffung bei Porsche. Haben Sie nach sechs Monaten ein erstes Fazit gezogen? Meine Bilanz ist sehr positiv. Für Porsche war 2021 ein Rekordjahr. Wir haben zum ersten Mal über 300.000 Fahrzeuge an die Kunden ausgeliefert. Und das haben wir trotz Lieferengpässen geschafft. Kleine Bauteile wie Mikrochips haben die Beschaffung in den vergangenen Monaten ins Scheinwerferlicht gerückt. Es ist eine neue Herausforderung für uns, permanent im Fokus zu stehen. Wir sehen das sportlich. Sie sprechen den Halbleitermangel an – da wird Porsche bei Knappheit aufgrund der hohen Margen konzernintern bevorzugt behandelt. Wie läuft das ab, rufen Sie da in Wolfsburg an und sagen, nächste Woche brauchen wir 200.000 Chips gegen einen Deckungsbeitrag von Y? In einem Porsche sind im Schnitt rund 5.000 Halbleiter mit unterschiedlichsten Funktionen verbaut. Ein wesentlicher Teil davon wird auch in anderen Fahrzeugmarken des Konzerns eingesetzt. Zum Beispiel das Türsteuergerät. Ist dies knapp, werden bei der internen Verteilung E-Fahrzeuge priorisiert. Zusätzlich haben die Marken mit deckungsbeitragsstarken Modellen einen gewissen Vorteil. Auch Porsche profitiert davon. Die markenübergreifende Verteilung im VW-Konzern ist über eine Gremienstruktur organisiert. Klar ist aber: Sind Teile knapp, die nur bei Porsche zum Einsatz kommen, müssen wir selbst die Versorgung sicherstellen. Was Ihnen angesichts des Auslieferungsrekords ja sehr gut gelungen zu sein scheint. Dennoch: Welche Konsequenzen haben Sie aus den Erfahrungen der vergangenen Monate abgeleitet? Halbleiter stecken hauptsächlich in Steuergeräten, die unsere Tier-1-Zulieferer produzieren. Deshalb hatten wir in der Vergangenheit keine direkte Lieferbeziehung zu Halbleiterherstellern. Das haben wir geändert, sprechen nun auch direkt mit den Chiplieferanten. Damit wollen wir das gegenseitige Verständnis fördern, gleichzeitig unsere Zukunftsstrategie deutlich machen. Kommunikation und Transparenz sind mir wichtig. Fakt ist: Halbleiter werden noch mindestens bis Ende 2022 knapp bleiben.

„Wenn die Zeit reif ist, machen wir uns Gedanken“

Denken Sie darüber nach, Halbleiter selbst zu produzieren oder sich an einem Halbleiterhersteller zu beteiligen? Die Vorlaufzeit für eine eigene Chipproduktion beträgt in der Regel mindestens drei Jahre. Die Investitionen dafür liegen im Milliarden-Euro-Bereich. Und selbst dann müsste man sich auf eine Technologie festlegen. Das wäre noch nicht einmal für den gesamten VW-Konzern sinnvoll. Etwas anderes ist es, in Innovationen zu investieren, die auf einer Halbleitertechnologie basieren und ein Markenprofil künftig schärfen, etwa bei Fahrerassistenzsystemen und autonomem Fahren. Man kann darüber nachdenken, dies selbst zu machen oder sich dabei mit neuen Partnern zusammen zu schließen. „Kann“ man sich Gedanken machen oder machen Sie sich schon? Wenn die Zeit reif ist, machen wir uns Gedanken dazu (lacht). Im Ernst: Im VW-Konzern gibt es mit der neugegründeten Cariad bereits eine Software-Einheit. Sie treibt die Vernetzung in den Fahrzeugplattformen maßgeblich voran. Cariad ist die Speerspitze, wenn es um solche Überlegungen geht. Ist es für solche Dinge von Vorteil, dass die Beschaffung bei Porsche seit 2011 ein eigenes Vorstandsressort hat? Das ist generell ein Vorteil. Porsche hat eine relativ geringe Fertigungstiefe. Ein Großteil der Wertschöpfung findet bei unseren Lieferanten statt. Zusätzlich wird von uns Beschaffern vermehrt ein strategisches Wertschöpfungsmanagement gefordert. All dies macht die Verankerung der Beschaffung auf Vorstandsniveau sinnvoll. Wie sehr haben die Lieferkettenprobleme in den vergangenen Monaten Sie von Ihren eigentlichen Vorhaben in dieser Zeit abgehalten? Es stimmt: Die Pandemie, Handelshemmnisse und Naturereignisse haben uns stark beansprucht. Aber: Man kann aus jeder Krise lernen. Wir schauen nach vorne. Wichtig ist jetzt, unsere Lieferkette noch flexibler zu gestalten. Intensiv beschäftigen wir uns mit dem Multiple Sourcing von kritischen Bauteilen. Bei ausgewählten Komponenten benötigen wir bestimmte Mindestmengen als Puffer. Wir werden unsere Verträge für die Zukunft auch dahingehend überprüfen. Wie stark helfen Ihnen bei der Überwachung Ihrer Lieferkette schon digitale Lösungen? Porsche ist auf einem guten Weg. Wir nutzen ein KI-Tool, das öffentlich zugängliche Informationen weltweit screent. Es identifiziert Risiken, hilft uns, schnell zu reagieren. Zudem entwickeln wir die Transparenz weiter – auch in tieferen Stufen der Lieferkette. Wenn etwa in Tianjin in China aufgrund von Corona ein Lockdown stattfindet, müssen wir sehr schnell wissen, wer dort welche Komponenten produziert und ob wir davon betroffen sind. Sie haben Ihre Abrufzeiten gegenüber den -Tier-1-Lieferanten zuletzt auf 18 Monate ausgedehnt, geben ihnen also eine längere Bedarfsvorschau. Was, wenn Sie diese Bedarfe in, sagen wir mal, 14 Monaten dann aber so gar nicht haben oder umgekehrt nicht gedeckt bekommen? In erster Linie versuchen wir, unsere Planungen auch einzuhalten (lacht). Dabei ist aber immer ein Korridor eingebaut. Sollte sich ein Bedarf drastisch verändern, sprechen wir mit den Lieferanten. Es gab zuletzt auch Situationen, in denen wir für eine gewisse Zeit nicht die avisierten Mengen bei den Lieferanten abrufen konnten. Das lösen wir partnerschaftlich. Mal geht der Lieferant die Extrameile für uns, mal helfen wir. Hilft es Ihnen, dass Sie selbst lange bei Zulieferern gearbeitet hatten, bevor Sie vor 20 Jahren zu Porsche wechselten? Mir hilft es natürlich, die Perspektive des Lieferanten zu kennen, um das Optimum für beide Parteien zu verhandeln. Dieses partnerschaftliche Verständnis hatte ich aber schon, bevor ich Beschaffungsvorständin geworden bin.

„Wertbeitrag der Beschaffung hat mich beeindruckt“

Sie kennen nicht nur die Zulieferperspektive, sondern auch noch einen anderen „Gegenpol“ des Einkaufs – den Vertrieb, wo Sie für Porsche vor Ihrem Wechsel in die Beschaffung tätig waren. Welches Vorurteil hatten Sie vom Einkauf, das so gar nicht stimmt? Gar keines! Beim Wechsel in die Beschaffung bin ich tief in die Materie eingetaucht. Die Herausforderungen und die Breite des Einkaufs habe ich noch viel besser kennengelernt. Dabei hat mich der Wertbeitrag der Beschaffung für das gesamte Unternehmen beeindruckt: Wir sind ein Prozesspartner, vor allem für unsere Forschung und Entwicklung. Die Beschaffung ist von Anfang an beim Forward Sourcing mit dabei. So bringen wir über unsere Lieferanten Innovationen ins Unternehmen. Wir sind Mitgestalter unseres Produktportfolios, setzen als solcher die Nachhaltigkeit aktiv um. … ein Thema, für das Sie nach eigener Aussage eine Leidenschaft hätten und das Ihnen eine „Herzensangelegenheit“ sei. Wie kann man Nachhaltigkeit als Herzensangelegenheit betrachten und gleichzeitig einen Porsche fahren und für Porsche arbeiten? Für viele, vor allem jüngere Menschen, geht das schlicht nicht zusammen. Wir denken Nachhaltigkeit bei Porsche ganzheitlich. Unseren Kunden helfen wir, einen Traum zu verwirklichen. Und arbeiten hart dafür, dass dies auch noch ein nachhaltiger Traum wird. Wichtig ist nicht nur an der Seitenlinie zu stehen. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen, nachhaltige Aspekte mehr und mehr in den Vordergrund zu stellen. Das tun wir. Insofern passen Nachhaltigkeit und Porsche sehr gut zusammen. Sie wollen bis 2030 bilanziell CO2-neutral sein. Was muss dafür noch passieren? An unseren Standorten in Deutschland produzieren wir bereits heute bilanziell CO2-neutral. Seit vergangenem Jahr gilt: Bei neuen Fahrzeugprojekten setzen wir eigene Nachhaltigkeitsziele für Hotspot-Komponenten, die wir zukaufen. Wir schauen uns genau an, wie wir die CO2-Emissionen in der Herstellung von unseren Bauteilen in der Lieferkette reduzieren können. Die CO2-Emmissionen eines Elektroautos fallen ja auch fast ausschließlich in der Lieferkette an. Ganz so stimmt das nicht. Richtig ist: Rund 40 Prozent der CO2-Emissionen entstehen bei E-Fahrzeugen in der Lieferkette. Ein Großteil davon fällt in der Batterieproduktion an. Das ist für uns eine wichtige Komponente. Wir arbeiten eng mit den Lieferanten zusammen, um die Batterie nachhaltiger zu machen. Beispiel Taycan: Bei unserem ersten vollelektrischen Sportwagen wird die Batteriezelle bereits vollständig mit Grünstrom hergestellt. Wie verändert die Elektromobilität die Aufgaben der Beschaffung ganz generell mit Blick auf Warengruppen oder Lieferanten? Bei Porsche stellen wir klare Anforderungen an unsere rund 1.300 Tier-1-Lieferanten: Wir wollen, dass sie etwa ihre Produktion auf Grünstrom umstellen oder eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie haben. Dabei unterstützen wir auch. Und in tieferen Stufen der Lieferkette? Auch kleineren Lieferanten und Rohstoffherstellern helfen wir, nachhaltiger zu werden. Im VW-Konzern analysieren wir gemeinsam die Lieferketten, führen auch eigene Audits durch. Wir schauen genau auf die Arbeitsbedingungen. Es geht darum, wie sozial-ethisch der Herstellprozess gestaltet ist. Das ist eine große Aufgabe für die Beschaffung. Weiterhin suchen wir nach nachhaltigen alternativen Materialien. Nicht nur bei innovativen Lieferanten in der traditionellen Automobilindustrie. Auch in anderen Branchen sind wir unterwegs. Getrieben werden viele Nachhaltigkeitsaktivitäten schlussendlich auch vom Lieferkettengesetz, das für Porsche ab 2023 gelten wird. Wären Sie auch schon Anfang 2022 voll compliant gewesen? Nein, weil sich die Anforderungen relativ spät konkretisiert haben. Die große Herausforderung aktuell ist, die rechtlichen Anforderungen richtig zu interpretieren und herauszufinden, wo wir eventuell noch nachschärfen müssen. Wir haben bereits eine gute Grundlage, die wir nun weiterentwickeln. Generell bevorzugen wir ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene. Je mehr mitmachen, desto schneller wird die Lieferkette nachhaltiger. Für die vielen mittelständischen Zulieferer sind die Anforderungen des Lieferkettengesetzes eine große Herausforderung. Was tun Sie, um diese Betriebe zu unterstützen? Das Gesetz gilt im ersten Schritt ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Und selbst in dieser Größenordnung hat nicht jedes Unternehmen eine Compliance-Abteilung oder Experten zur richtigen Interpretation des Gesetzes. Wir helfen mit unserem Know-how.