22.11.2022Konjunktur

Weltwirtschaft auf Gratwanderung

Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud stellte in Frankfurt die „Märkte und Trends 2023“ vor. Danach dürften der Krieg in der Ukraine andauern und die Energiepreise in Europa erhöht bleiben, obwohl neue Lieferquellen gefunden werden und Einsparbemühungen Erfolge zeigen.
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„Die Weltwirtschaft bewegt sich auf einem schmalen Grat. Der Blick nach vorne lässt selbst erfahrenen Bergwanderern den Schweiß auf die Stirn treten. Abgründe klaffen zu beiden Seiten dieses Grats, auf dem die globale Konjunktur voran stolpert“, erklärte Helaba-Chefvolkswirtin Dr. Gertrud Traud bei der Vorstellung des Konjunktur- und Kapitalmarktausblicks vor Journalisten in Frankfurt.

Die Ereignisse dieses Jahres und der Ausblick für 2023 seien laut Traud von den sich überlagernden Faktoren Ukraine/Energiekrise und den Nachwirkungen der Pandemie bestimmt. Letztere seien nicht verschwunden, sondern würden auch 2023 eine wichtige Rolle spielen. Die globalen Lieferketten haben sich nach Einschätzung der Helaba-Bankdirektorin noch nicht normalisiert und Veränderungen im Verbraucherverhalten seien vielerorts erst partiell korrigiert. „In Deutschland werden wir 2023 eine Rezession sehen“, zeigte sich Traud überzeugt. „Dabei gehen wir davon aus, dass der Krieg in der Ukraine andauert und die Energiepreise in Europa erhöht bleiben, obwohl neue Lieferquellen gefunden werden und Einsparbemühungen Erfolge zeigen“, fügte sie hinzu.

Die großen Wirtschaftsblöcke USA und Eurozone durchliefen eine Rezession, kämen aber im Jahresdurchschnitt 2023 noch auf leicht positive Wachstumsraten von 0,5 Prozent bzw. 0,2 Prozent. Die deutsche Wirtschaft schrumpfe um 0,6 Prozent. Trotz der schwachen Konjunktur gehe die Inflation nur graduell zurück. In Europa bleibe die Energieknappheit ein wichtiger Faktor. Die Verbraucherpreise steigen den Helaba-Prognosen zufolge in Deutschland um sechs Prozent, in der Eurozone um 5,3 Prozent und in den USA um vier Prozent. Das sei weniger als 2022, aber deutlich oberhalb der Zielwerte der Notenbanken.

Traud äußerte sich auch zum Status quo der Lieferketten. In diesem Zusammenhang sagte sie auf eine Frage des BME: Das geplante Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz „ist der Versuch, den Menschenrechten ein größeres Gewicht zu geben“. Gleichzeitig bestehe die Gefahr, dass man das LkSG „entweder nicht hinbekommt oder dass der Kostenfaktor deutlich höher ist“. Es könnte auch sein, dass Staaten, in denen Menschenrechte verletzt werden, die Rahmenbedingungen verbessern, um für ausländische Unternehmen attraktiver zu werden. Andererseits sei möglich, dass dort „gar nichts passiert und die Bedingungen in den Ländern noch viel schlechter werden. Dann ist das geplante Gesetz gut gemeint, aber am Ende nicht gut gemacht. Das ist ebenfalls eine Gratwanderung und ein Risiko. Ich hoffe aber, dass es in die richtige Richtung geht“, teilte Traud dem BME abschließend mit.

Frank RöschPressesprecher+49 6196 5828-155frank.roesch@bme.de